FABRIC, Afrikadamast und Bauzaun

Margit Czenki ist Teil des Teams von FABRIC – Brombach Dreaming (2017-2021). Ihre Arbeit an einem ungewöhnlichen Bauzaun in Lörrach bereitet die Bühne für die Wunschproduktion auf dem Gelände der Schöpflin Stiftung. Die visuell zurückhaltende und zugleich monumentale Arbeit verwebt das Lokale und das Globale auf eine überraschende Weise – und birgt ein Geheimnis…

Blick in Margit Czenkis improvisiertes Stencil Studio auf dem Gelände der Schöpflin Stiftung. Czenki ist die erste Künstlerin, die an einem Projekt für FABRIC arbeitet. Die Künstlerin hat mit mit Park Fiction an der von Okwui Enwezor kuratierten documenta 11 teilgenommen. Sie wurde in der shedhalle Zürich, im Kunsthaus Dresden und im Museum Villa Stuck ausgestellt. Ihre Filme wurden im ZDF gezeigt, sowie im MOMA New York und im Züricher Schiffsbau. In den Achtzigerjahren gründete sie das Filmarchiv Frauen faf in Hamburg. Sie hatte die künstlerische Leitung der ContainerUni in Friedrichshafen, wo sie erstmals die Schablonentechnik in großem Umfang einsetzte. Die Künstlerin gehört zum Gründungsteam der PlanBude, einem vieldiskutierten Planungs- und Kunstprojekt in Hamburg..

Seit einigen Wochen werden die Einwohner*innen von Brombach, einem Ortsteil Lörrachs, Zeugen von signifikanten Veränderungen auf dem neuen Gelände der  Schöpflin Stiftung:

Durch das Gelände zieht sich einen neuer Bauzaun, nach Aussage einiger Menschen bereits jetzt der schönste Bauzaun Europas, dessen Form das Sheddach der benachbarten Fabrik zitiert.

Sorgfältig gestaltet, wie ein Hintergrund für ein Theaterstück, ähnelt der Zaun einem Stück Scheinarchitektur. Tritt man näher heran, kann man zarte silberne und gelbe Muster darauf erkennen, die die Struktur wie einen festlichen Vorhang schmücken.

„Im Herbst wird nebenan eine Sporthalle gebaut – auf Land dass die Schöpflin Stiftung der Stadt kostenlos in Erbpacht zur Verfügung stellt.“ sagt Christoph Schäfer, der künstlerische Leiter von FABRIC. „Wir brauchen diesen Bauzaun um die Beeinträchtigung durch die Bauarbeiten abzuschirmen.“

Doch ein banaler Zaun hätte dem anspruchsvollen Projekt nicht gereicht.  „FABRIC ist ein Kunstprojekt und Planungsprozess. Alle Bauten sind letztlich nie nur funktional, sondern immer auch symbolisch, Ausdruck einer Haltung oder einer Ideologie. Wir haben den Bauzaun deshalb mit der gleichen Genauigkeit entworfen, mit der wir alle anderen Interventionen und Gebäude in diesem Prozess angehen werden.“

Konsequenterweise lud Schäfer die Künstlerin Margit Czenki dazu ein, weiter mit dem Bauzaun zu arbeiten.

„Die Form des Bauzauns, den das FABRIC Team entworfen hat, bezieht sich auf die Architektur der benachbarten Fabrik. Ich will demgegenüber zeigen, was im inneren passiert.“ sagt Margit Czenki.

In der jüngsten Vergangenheit wurde in diesen Fabriken Kleidung hergestellt. Die Gegend um Lörrach, Basel und Mulhouse war früher ein Zentrum der Textilindustrie. Es gab Spinnereien und Webereien, Indigofärberei und die Zentrale des Versandhauses Schöpflin Da die meisten Textilien, die in Europa getragen werden, heute in Asien produziert werden, haben fast alle dieser Betriebe das Wiese-Tal verlassen. Nur Teile von Europas größter Textildruck Einrichtung, KBC, produzieren noch vor Ort.

Überraschenderweise wird hier jedoch noch ein anderes Material produziert – allerdings nicht für heimische Kunden.

Es wird für einen Kontinent produziert, den viele heute gar nicht als Markt wahrnehmen. Denn der Stoff wird exklusiv nach Afrika verkauft.

„Während meines ersten Rechercheaufenthalts in Lörrach stieß ich auf eine Firma mit dem Namen Textilveredelung an der Wiese. Und die veredeln einen sehr speziellen Stoff, den sogenannten Afrikadamast.“ sagt Christoph Schäfer. „Ich war sofort davon fasziniert – und wusste, dass wir damit arbeiten müssen. Tatsächlich ist der Afrikadamast dafür verantwortlich, dass wir das Projekt FABRIC genannt haben“. Fabric ist das englische Wort für Gewebe.

Die Künstlerin Margit Czenki begegnete dem Material zum ersten mal bei einem langfristigen Aufenthalt im Senegal, als Gast des Goethe Instituts Dakar.  Im weitgehend frankophonen West-Afrika heißt der Stoff bazin.

„Die Leute wiesen mich darauf hin, dass der beste bazin aus Allemagne kommt.“ Mit Bezug auf die Made in Bangladesh Label, die man immer häufiger auch in Textilien in deutschen Markengeschäften findet, fügt Czenki hinzu: „Ich war schon ziemlich überrascht, ausgerechnet auf den Sraßenmärkten Dakars Stoffe mit goldenen Made in Germany Stickereien zu finden. In der Region ist Deutschland möglicherweise bekannter für diese Stoffe, als für Autos.“

Margit Czenki in Dakar, 2008

In Europa kennt man Damast als feinen, etwas altmodischen Stoff für Tischdecken und Servietten – von der Sorte, die unsere Großeltern nur Sonntags auf den Tisch legten.

Die Menschen in West-Afrika tragen diesen Stoff jedoch – und schätzen seine steife, knirschende und glänzende Qualität.

Wie man hört, soll der Stoff noch in Europa gewebt werden. Veredelt (oder „ausgerüstet“) wird der Damast jedoch in Lörrach. Der meist weiße Damast wird dann nach West-Afrika exportiert.

Mali ist der bekannteste Ort für Färberei. Frauen in Bamako, der Hauptstadt, färben den Stoff und verarbeiten ihn weiter, bis er lokal verkauft – oder wieder ins Ausland exportiert wird. Rund um den Globus tragen West-Afrikanische Communities Kleidung aus dem edlen Material. Manche der Färbererinnen sind berühmt, und werden von den Kunden als Stars angesehen. Für Kleidung aus aus bazin, etwa für den von Männern getragenen Boubou, legt die Kundschaft soviel Geld auf den Tisch, wie ein Maßanzug in Europa kostet.

Hans Schöpflin hat uns in Kontakt mit der amerikanischen Filmemacherin Maureen Gosling und der Anthropologin Maxine Downs gebracht. Die beiden arbeiten an einem Film über die Frauen aus Mali.“, sagt Christoph Schäfer, der plant, das Dokumentarfilmteam in einer späteren Phase des FABRIC-Projekts nach Lörrach einzuladen. Ihr leider noch unvollendeter Film, Bamako Chique: Threads of Power, Color and Culture stellt die Kunst und Ökonomie in den Fokus.

„In den frühen 1970erjahren“, schreibt Gosling auf ihrer Webseite, „hat eine Gruppe malischer Frauen mitgewirkt, die Industrie handgefärbter Stoffe wieder zu beleben.  Dies gelang mit einer erweiterten Palette schillernder Farben und mit innovativen Designs, die sich bis heute weiter entwickeln. Ihr kreativer Einsatz leuchtender, schnell trocknender Farben und komplizierter Muster, haben die handgefärbte Baumwolle (ein importierter, glänzender Baumwollstoff) zu einer populären Mode gemacht, die von Reichen wie Armen gleichermaßen begehrt wird. Heute ein lukratives Geschäft, bauen sich die Frauen damit nachhaltig Vermögen auf. (…) Der Film folgt den täglichen Herausforderungen mehrerer Färberinnen aus Mali. Wir werden Zeugen der Kraft dieser Frauen, die mit Kunst und unternehmerischem Geschick die universelle menschliche Sehnsucht nach Schönheit, Identität und Leben ausdrücken.“

Stoff aus der Zukunft: Ein glänzender Boubou, ein Kleidungsstück aus Afrikadmast, hier getragen von Schauspieler Chris Obi in der Rolle eines Diplomaten, im aktuellen Remake des Anime-Klassikers Ghost in the Shell.

„Gewöhnlich gehen wir davon aus, dass Textilien in der heutigen Wirtschaft, abgesehen von ökologischen Nischenprodukten, gar nicht mehr in Deutschland hergestellt werden. Mit dem Afrikadamast als Ausgangspunkt und Thema für ein Kunstwerk und weitere Recherchen und Projekte in Zusammenarbeit mit dem Werkraum Schöpflin, haben wir die Gelegenheit, eine andere Perspektive einzunehmen, mit der wir Produktion, Handel, Kultur und die Beziehung zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden anschauen können.“ erläutert Christoph Schäfer. „Das Thema ist zugleich super-lokal und super-international.“

Die Künstlerin bei der Arbeit im Außenraum

Inzwischen konzentriert sich Margit Czenki zunächst auf das glänzende weiße Ausgangsprodukt aus Lörrach.

Hunderte von Arbeitsplätzen in Lörrach und Deutschland sind von dem Export des Stoffs nach West-Afrika abhängig.

In den Afrikadamast sind Muster eingewoben, die viele Fragen aufwerfen, die mit ökonomischem und kulturellem Austausch, mit post-kolonialen und neo-kolonialen Beziehungen, mit Aneignung und Ausbeutung und erfinderischen Seitenwegen zu tun haben: Wie werden diese Muster entwickelt? Wer entwirft die? Wo werden die Designs gemacht? Wie funktioniert die Kommunikation zwischen Afrika und Deutschland?

Während einige dieser Fragen unbeantwortet bleiben müssen, fordert das Nachdenken über dieses Material Vorurteile über die Beziehungen zwischen Afrika und Europa heraus.

Bauzaun

Teile des Bauzauns sind bereits mit schablonierten Mustern gefüllt. Margit Czenki hat sich dazu entschieden, die aus dem Afrikadmast abgeleiteten, manchmal kaum erkennbaren  Motive in handgeschnittene Papierschablonen umzusetzen.  Eine bewusste Fehlübersetzung gescheiterter bzw. erfolgreicher Übersetzungen oder eine Aneignung der Enteignung – die Ornamente auf dem Bauzaun geben weder ihre bedeutung, noch ihren Ursprung so leicht preis.

Margit Czenki bei der Arbeit an einer Schablone für den Bauzaun.

„Ich arbeite mit wenig Kontrast, weil ich diese Arbeit als eine Art Hintergrund sehe, vor dem sich das FABRIC Projekt entfaltet.“ Bezugnehmend auf ein Beispiel aus der Musik, vergleicht Czenki: „Ich stelle mir dieses Werk vor wie einen rollenden Bass-Track, der eine Basis bildet für die Melodien und Lieder anderer Künstler und der Menschen aus Lörrach.“

Wie ein Kulissen-Gebäude mit einem gefälschten Vorhang, rahmt der Bauzaun-als-Ambient-Kunstwerk das Grundstück – und bereitet die Bühne, auf der sich die von FABRIC organisierte Wunschproduktion in den kommenden Jahren entfalten kann.


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