Margit Czenki

Sala de Arte Publico Siqueiros (This House isFull of Story) | Kunsthaus Dresden | Nebengeräusche des Hauses | 2003

…Ein weiteres Beispiel für eine solchermaßen komplexe Bearbeitung des Themas ist die Installation Sala de Arte Publico Siqueiros der Hamburger Künstlerin und Filmemacherin Margit Czenki. Im Vorfeld der Ausstellung besuchte die Künstlerin den Sala, das ehemalige Wohnhaus des berühmten mexikanischen Wandmalers und Aktivisten David Alfaro Siqueiros in Mexiko-Stadt. 1969 wurde das Haus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, war nach dem Tod Siqueiros‘ 1975 unter der Leitung seiner Ehefrau Angelica Arenal lange Jahre Treffpunkt der lateinamerikanischen Linken und beherbergt heute das Archiv Siqueiros‘ sowie einen neuen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst. Drei junge Kuratorinnen arbeiten dort mit dem schwierigen Erbe des widerspenstigen Künstlers und lange Zeit bekennenden Stalinisten, dessen politisch nach wie vor brisante Wandmalereien die mexikanische Verwaltung heute vor der Öffentlichkeit versteckt.

In Dresden projiziert Margit Czenki die Arbeitsweise der Kuratorinnen des Sala in die Räume des Kunsthaus: Eine aufwändige Wandmalerei im Stile der von Siqueiros‘ entwickelten Technik der polyangularen Malerei füllt den gesamten Raum. Entlang der Wände erzählt eine Fülle von Fotos, Bildern, Textdokumenten und Filmmaterial aus dem Leben und Werk des Malers, nähert sich seiner aktiven politischen Identifikation mit dem nachrevolutionären mexikanischen Staat an, folgt ihm in die Inhaftierung durch die Regierung eben dieses Staats, dokumentiert seine ungebremste Schaffenskraft selbst im Gefängnis und die Miteinbeziehungen der „Genossen Mitinhaftierten“. Aus dieser Zeit stammende Solidaritätspostkarten von Grundschulen in Dresden, die Czenki im Archiv des Sala fand, stellen überraschend eine Verbindung zwischen dem Maler und der Stadt an der Elbe her.

Mit einer einseitigen Konzentration auf die beeindruckende theoretische und widersprüchliche politische Arbeit Siqueiros bricht Czenki durch das Augenmerk auf die innovative Praxis der Kuratorinnen Itala Schmelz, Pilar Villela und Margara Laborde. Das etwa einstündige Video This house has a lot of story veranschaulicht in Interviews, wie sich im Umgang mit der monströsen Ästhetik Siqueiros‘ neue Perspektiven aus der verdrängten Vergangenheit der politischen Kunst entwickeln lassen. Neben der Archivarbeit öffnen die Frauen das Haus für die zeitgenössische mexikanische Kunst, realisieren Ausstellungen von KünstlerInnen, die mit Siqueiros gearbeitet haben, und führen Symposien über öffentliche und politische Kunst durch. Auf diese Weise fügen sie dem Werk Siqueiros‘ ihre eigene Geschichte hinzu und aktualisieren seine Arbeit für die heutige Zeit. Dies ereignet sich in Czenkis Installation auch für Dresden, etwa mit der Fotoserie von Siqueiros‘ Besuch des Mosaiks am Kulturpalast – damals voll Stolz vorgeführt, verbirgt heute ein Baustellen-Netz die dargestellten Figuren auf dem Weg zum Kommunismus nicht unähnlich dem heutigen Umgang Mexikos mit den Werken des ehemals gefeierten Siqueiros. In Czenkis Arbeit wird deutlich, wie Bildwelten des Sozialismus Bedeutungsveränderungen durchlaufen, aber auch, wie ihre Aktualisierung gelingen und der Umgang mit ihnen unter veränderten Gesichtspunkten fruchtbar werden kann.

Wanda Wieczorek, glizz.net

1.
Foto: Kommunismus Mosaik am Kulturpalast, verschämt verhängt, Dresden 2003

2.


Fotoserie: Zu Besuch in der DDR. Siqueiros und Angelica Arenal vor dem Kommunismus Mosaik am Kulturpalast und ratlos vor dem Modell der Prager Straße, 1970

3.
Videoloop: Siqueiros‘ Murales.

„Bildnis der Bourgeoisie“, antifaschistisches Mural in der Elektriker Gewerkschaft, 1938

„Für eine vollständige Sozialversicherung für alle Mexikaner“, im Hospital de la Raza, 1952

„Die Revolution gegen die Diktatur des Porfirio Díaz“, Mural im Nationalen Museum der Geschichte, Mexico City, 1957 begonnen.

„Das Volk auf die Universität, die Universität dem Volke“, Wandmosaik am Rektorat der UNAM, 1957
„Der Marsch der Menschheit“, Polyforum Siqueiros, Mexico City1971

4.


3 Minuten Videosequenz: Siqueiros inhaftiert im „Schwarzen Palast von Lecumberri“, kollektive Malerei mit Mitgefangenen, zwischen 1960 – 64

5.
Foto: „Blumen für Angelica“, Zwei Blumen-malereien mit Widmung im Knast gemalt, ’60/’64

6. Solidaritätsplakat:
für Siqueiros mit einem Gedicht von Pablo Neruda für den Inhaftierten, 1960-64

7.
Fotos: Siqueiros im Knast und vor Gericht, 1960-64

8.
Kunstzeitschrift „Tendenzen“:
Solidaritätsaufruf westdeutscher Künstler und Artikel zu den Hintergründen der Inhaftierung und Verurteilung des Malers, 1960-64

9.
Fotos: „Viva Siqueiros“, Solidaritätsdemonstrationen in New York und Argentinien, 1960-64

10.
Solidaritätspostkarten für Siqueiros aus Dresden, während der Gefangenschaft 1960-64

11.
Fotoserie: Freilassung Siqueiros‘, Pressekonferenz und Rede 2 Tage später vor dem wegen der Gefangenschaft unvollendeten Revolutionsmural

12.
Fotos, Material,
Sala de Arte Publico
von den späten 50erjahren bis heute:
a: Archiv
b: Bibliothek
c: Ausstellungsräume
d: El Cubo
e: Büros
(Alltag / Gastlichkeit / Arbeit der Kuratorinnen)

13.
Plakate:
Nutzung des Hauses durch Angelica Arenal, nach Siqueiros Tod,
– für Künstlerkollektive
– als Treffpunkt für Flüchtlinge aus lateinamerikanischen Diktaturen, Vietnam
– Kongresse zu Cile, Vietnam, El Salvador

14.
Publikationen: „El Machete“, „Arte Publico“,
Zeitungen von Siqueiros und Künstlerkollegen herausgegeben, 1922-1974

15.
Bücher, Artikel:
von und über Siqueiros

16.
„Homenaje á Reva Brooks“